Nelly Sachs Fragmente
für Bariton, Klavier, Violine und Violoncello

Hier pflanzen wir Demut entstand 2016/17. Die im Stück verwendeten Texte sind ausnahmslos fragmentarische Ausschnitte aus verschiedenen Gedichten. Der Fokus der Texte ist auf den Glauben an das Gute gerichtet, trotz des herrschenden Schreckens, und rückt die Liebe, das Licht, das göttliche im Menschen in das Zentrum. Mit dem finalen Stück Und Metatron der höchste aller Engel wird dem Höhepunkt dieser Text-Dramaturgie zugesteuert. Diese fragmentarischen Texte werden durch gleich beginnende und strukturierte Verse aus dem Gedicht Immer dort wo Kinder sterben unterbrochen. Diese erlangen im Gesamtverlauf eine Refrain- Funktion und geben dadurch der Dramaturgie des Textverlaufs einen Rondo-Charakter. In diesen Refrain-Teilen wird zwar vom Sterben der Kinder gesprochen, aber im Zentrum steht nicht der Tod als solches, sondern es wird das Wunderbare, Geheimnisvolle, das Unverdorbene als menschliches Potential gezeichnet, das allerdings durch den Kindheitstod sich in der Welt nicht manifestieren kann.

Diese Refrain-Teile heben sich in ihrer archaischen, magischen, auf kleinen rhythmischen Werten basierenden Musik radikal von den fragmentarischen Teilen ab. Sie bewegen sich in einer Art vorgeburtlichem Zustand, sozusagen nicht wirklich ins Leben getreten. Die Musik der Text-Fragmente wird durch rhythmische Strukturen geprägt. Diese immanente Zahlensymbolik bezieht sich auf die Kabbala und beeinflusst zunehmend das musikalische Material, im Besonderen die Harmonik. Mit der Entwicklung des Stücks nimmt dieses prägende und einflussreiche Wirken der Rhythmen auf das musikalische Geschehen zu. Im finalen Stück erreicht dieser Einfluss – unüberhörbar – seinen Höhepunkt.

AKZ
2017

Altsaxophon
Klarinetten
Schlagzeug
Violine
Violoncello

I Formen
II Tänze
III Kontraste

Die Komposition Druck-Klang nimmt Bezug auf Druckgraphiken von Bruno Hufenus. In diesem graphischen Werk kristallisieren sich drei Hauptthemen heraus, nämlich: Formen, Strukturen und Figuren. Umgesetzt wurden diese Graphiken in Radierungen, Lithographien, Holz- und Linolschnitten, Holzdrucke, Prägedrucke und Siebdrucke. Das Erstaunliche an diesen Arbeiten sind die verschiedenartigen, ausgeklügelten Drucktechniken, über deren Art und Weise der Realisation man staunend wie vor einem ungelösten Rätsel steht.

Die Komposition nimmt Bezug auf die drei Hauptthemen:

I Formen

In diesem Stück bewegen sich in der Dichte variierende Linien in einem Raum, der mehr und mehr ausgefüllt wird. Die Zwischenräume erfüllen sich mit Klang. Diese Linien erreichen nach und nach die Grenzen des Raumes; eine Art Stagnation findet statt, die aber nicht ein Ende, sondern einen Übergang zu einer weiteren Ausdehnung markiert.

II Tänze

Die Figuren in Bruno Hufenus Graphiken sind alle in Bewegung. Die Arten der Bewegungen schlagen eine zwingende Brücke zum Tänzerischen. Hufenus selbst, sein Leben in Trogen (AR) verbracht, hatte einen grossen Bezug zur Appenzeller Volksmusik und eben so zur Volksmusik aus dem Balkan.
Das Stück Tänze ist eine Begegnung dieser zwei Volkskulturen. Sie beeinflussen sich gegenseitig, verändern sich. Sie entferne sich von ihrem Ursprung hin zum Anderen oder sie nähern sich dem Fremdartigen an, sie vereinen sich.

III Kontraste

Grelle, nicht homogene Linien, wie Risse, trennen dunkle Räume voneinander. Die Formen der grellen Risse gestalten jeden dunklen Raum neu. Die Risse selbst drängen in die Tiefe. In den dunklen Räumen offenbaren sich zeichenartige Klänge, Ton in Ton, das heisst dunkel in dunkel, die rätselhafte Botschaften artikulieren.

A.K.Z.
2017

Erinnerungen im Ohr ist ein Stück über Hörwahrnehmungen von Folteropfern. Ein Konglomerat von auditiven Traumata. Die Instrumente schlüpfen in dramaturgisch konzipierte Rollen, wie Personen, und werden in sprechendem Gestus behandelt. Die Posaune, die aus eigenen physikalischen Kräften Zusatzinstrumente zum Klingen bringt oder durch diese Klangveränderungen erfährt, eröffnet dadurch Assoziations-, Kontemplations- und Schreckensräume.
Man könnte sagen, die drei Stücke sind eine Art instrumentale Oper. Erinnerungen im Ohr setzt den Schlusspunkt hinter die Auseinandersetzung mit der Oper Der Tod und das Mädchen.

I. In der Dunkelheit
Das monologisierende „Ich“ (Posaune) ist allein in einer absolut finstern Zelle. Die unbestimmte Situation treibt dieses „Ich“ in einen innern Selbstgesprächs-Monolog. Frage an Frage reiht sich aneinander, und jede vermeintliche Antwort ist mit einer konkreten Hör-Erinnerung konnotiert. Dieses innere Hören ruft Erlebtes wach, das durch das die Posaune umgebende Instrumentarium erinnernd Gestalt annimmt. Manchmal glaubt das „Ich“ Schritte, Stimmen, Geräusche zu hören. Sind sie real oder Phantasmen im innern Ohr? Eine zitternde, weinende Stimme (Saxophon) glaubt das „Ich“ zu erkennen . . . ist es die Stimme seiner Frau...? - - - Ein plötzliches, gewaltsames Herausreissen aus der Dunkelheit in das schmerzende grelle Licht beendet diesen innern Monolog abrupt.

II Der Irre
Das „Ich“ (Violoncello) bekommt nach langer Zeit – unter Aufsicht – wieder einmal etwas zu essen. Diese Oase von Lust und Sinnlichkeit im Elend wird durch den Auftritt des Irren (Posaune) brutal zerstört. Schreiend, sich in Wut steigernd, macht der Irre dem „Ich“ klar, dass unter ihm alle „singen“ werden, auch es. Das „Ich“ wird herausgezerrt – die Tortur beginnt . . . . .

III. los Companeros
In drei benachbarten Zellen versuchen sechs Inhaftierte gegenseitig Kontakt aufzunehmen. Nummer eins (Violoncello) und Nummer zwei (Bassklarinette) nehmen mit dem Neuankömmling Nummer sechs (Posaune) Kontakt auf. Dieser antiphonische, deklamatorisch geprägte Austausch findet an der Grenze des Hörbaren statt. Als Überlebensstrategie wiederholt Nummer vier (Flöte) in der Art einer Litanei lieb gewonnene Floskeln eines Gedichtes in einer Art „Sprachklang“; eben so versucht Nummer fünf (Trompete) mit einem Gebet den Sinn des Sinnlosen zu begreifen. Nummer drei (Saxophon) flüchtet sich in die optimistische Melodik von Volksliedern. In einer brutalen Intervention wird Nummer drei aus der Zelle gerissen. Die Lieder verstummen – ein Moment herrscht atemlose Stille – danach wird nur noch geflüstert - - -

AKZ
2012

Für Alt und Klavier
nach Texten von Else Lasker Schüler und einem Hebräischen Gebet.

Die Gedichte von Else Lasker Schüler kreisen thematisch um den Tod ihrer Mutter, um die Erfahrung dieses Verlustes, die Art und Weise und die Fähigkeit damit umzugehen.

Der eigentliche Vorgang während des Stückverlaufs ist die Reversibilität Tod – Leben; es vollzieht sich ein symbolischer Tausch. Innerhalb dieses Vollzugs formt sich das Stück immer wieder zu Teilen einer Skulptur und erreicht im Epilog die integrale skulpturale Form: eine in Stille, Gestik und mimische Artikulation umgestaltete, Klang suggerierende, hörbare Plastik. Durch sie wird eine höchst mögliche Stufe an Innerlichkeit angestrebt.

Zwischen den Gedichten ist das Nachtgebet in Hebräischer Sprache eingeflochten. Nach anfänglich bruchstückhaften Gebetsausbrüchen wird das Abendgebet in diskontinuitiv erscheinenden Teilabschnitten zwischen den Versen des vierten Gedichtes in seiner Vollständigkeit eingeflochten.

Die im Epilog verstummende Skulptur strahlt schweigende Bilder aus und versetzt verinnerlichte Klänge in Resonanz. Die Reversibilität Tod – Leben, der Akt des symbolischen Tauschs darf nicht unterbrochen werden - - die Nachtwache dauert fort .....

Es brennt eine Kerze auf meinem Tisch
Für meine Mutter die ganze Nacht –
Für meine Mutter...

Mein Herz brennt unter dem Schulterblatt
Die ganze Nacht
Für meine Mutter....

A.K.Z.
2008/2017

für Mezzosopran und Solisten-Ensemble, nach Texten von Samuel Beckett

Mezzosopran (Mundpfeife, Lockrufpfeife, Seidenpapier)

Flöte (auch Alt-Flöte und Piccolo)
Oboe
Klarinette in B (auch Bassklarinette)
Posaune (Becken, Alu-Backfolie)
Akkordeon
Violine

Die Mirlitonnades von Samuel Beckett sind Mini-Zeilen, in denen die Thematik des Verschwindens und des andauernden Aufhaltens am Rande des Nichts allgegenwärtig ist. Es sind lakonische Slapsticks, trickreich, stolpernd, von leichter Melancholie bis hin zu tiefschwarzem Humor.

Im Kontext der Musik sind Mirlitons Instrumente, die die menschliche Stimme durch ein Membran verändern. Dieser Vorgang ist Teil des kompositorischen Konzepts. Die menschliche Stimme tritt in Berührung mit gespanntem Papier oder Membranen aus andersartigen Materialien. Auch das gleichzeitige Singen und spielen von Mundflöte oder Mundpfeife amalgieren sich zu einem Mirliton .Der Vorgang des Veränderns und Verzerrens wird auch am Instrumentarium mittels verschiedenen Hilfsmaterialien angewendet. (Klarinette, Posaune, Violine, Trichtervioline)

Diese Mirlitons erzeugen sich aus der allgegenwärtigen Thematik des Verschwindens und aus dem von Verschwinden zu Verschwinden bleibenden Rest.

A.K.Z.
2007

Acht Stücke nach den Urzeichen des I Ging
für Violoncello und Kontrabass

Kien das Schöpferische
Kun das Empfangende
Dschen das Erregende

Kan das Abgründige
Gen das Stillehalten
Sun das Eindringliche

Li das Haftende
Dui das Heitere

Im I Ging – das Buch der Wandlungen – treten uns uralte Symbole entgegen, die seit über fünftausend Jahren unveränderlich gültig sind. Dieses alte Wissen fand um 3000 v. Chr. Eingang nach China, wo es bis heute aufbewahrt wurde. Über den ganzen eurasischen Kontinent herrschten die gleichen Urbilder, die als notwendiges Secretum gepflegt wurden. Secret = Geheimnis und Absonderung, die erforderlich sind zu seiner Erhaltung.

Diese Urzeichen bestimmen je einen Wesenszustand und setzen sich bildlich aus durchgehenden und unterbrochenen Linien zusammen, immer drei an der Zahl. Innerhalb des Zeichens bedeutet jede Linie eine andere Stufe und Art und Weise des Wesenszustandes, und impliziert so ein entsprechendes Verhalten resp. Handeln. Damit wird die Wandlung innerhalb desselben Zeichens zum zentralen Thema.

Die Stücke stellen sich zwei kompositorischen Aufgaben: einerseits soll der Grundcharakter jedes Zeichens zum Klingen gebracht werden, und dann – von zentraler Bedeutung die Wandlung – die Wandlungen der drei Stufen innerhalb des Zeichens nehmen musikalische Gestalt an.

A.K.Z.
2007

für Mezzosopran und Klavier

Im Einakter Eine Scheidelinie wird weiter hinausgezogen (2000/01) nach Nelly Sachs entdeckte ich die Bedeutung eines autonomen musikalischen Materials, also eines Materials, das selbst eine immanente Grösse im dramaturgischen Verlauf darstellt.

In Landschaft aus Schreien, diesem bedeutenden Gedicht von Nelly Sachs, liegt das immanente Material im Schrei verborgen, in vielfältigsten Varianten, insbesondere auch in erstickenden Gestaltungsformen der Implosion. Der hochexpressive Text mit seinen teilweise zerstörerischen Elementen treibt die Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme und des Instruments den Rand der Erschöpfung. Diese Erschöpfung – eine Art Zusammenbruch – führt in eine Phase des Loslassens. Der Zustand des Nichts wird erreicht, was in Nelly Sachs Denken soviel wie „Sehnsucht nach etwas“ heisst. Ab diesem dramaturgisch bedeutenden Wendepunkt nimmt die Musik sakrale Formen an und baut eine religiöse und mystische Aura auf. Trauer und Versöhnung über das Geschehene und die Sehnsucht nach etwas tun sich kund. – Das Stück endet mit einem sich öffnenden Vokalklang – das Alphabet formiert sich neu – Wiederbeginn ist angesagt.

A.K.Z.
2003/2017

für Violoncello und Schlagzeug (ein Spieler)

Dieses Stück nimmt Bezug auf das gleichnamige Gedicht von Günter Eich. Es ist der Versuch einer instrumentalen Umsetzung einer literarischen Vorlage.

Der Regen als Botschaft, als Metapher einer verschlüsselten Sprache, ist die treibende musikalische Kraft. Mit Hilfe von ausgeklügelten Präparationen an den Schlägeln und teils an den Schlaginstrumenten selbst wird es dem Schlagzeuger möglich, sich in die Klänge des Regens hineinzuspielen - assoziativ - nie natural - immer in abstrahierendem Abstand zum Naturereignis. Dank diesen Präparationen wird die Entfaltung einer differenzierten Klangvielfalt ermöglicht.

Die Verkopplung des Alphabetes mit musikalischen Parametern bildet die Grundlage der musikalischen Sprache. Jedem Buchstaben ist ein Ton zugeordnet, eine Klangfarbe, eine Spielart und eine rhythmische Determination. Die Konkretion greift zuerst auf das Cello über, nach und nach auch auf das Schlagzeug, auf die Instrumente mit fixen Tonhöhen: Vibraphon, Marimbaphon, Gong, Plattenglocken, Crotales, und die acht gestimmten Boobams, die eine bedeutende Rolle im Stück einnehmen. Jedem Vokal und Konsonanten ist auch eine Klangfarbe im Schlagzeug zugeordnet, die sich mit dem Cello-Klang vermischt.
So entsteht das klangliche Alphabet - die Sprache des Regens wird konkret. Teilweise ist es möglich, anhand dieses musikalischen Strukturplans die semantische Bedeutung des Textes zu entschlüsseln!

Botschaften des Regens ist als Würdigung an den Dichter Günter Eich zu verstehen. Das Innehalten und Erhorchen der Botschaften aktiviert Erinnerung und leistet etwas Widerstand gegen den fortschreitenden kollektiven Gedächtnisverlust.

A.K.Z.
2003

Uraufgeführt in Blonay, Fondation Hindemith
Stück für Oboe, Fagott, Gitarre, Viola

Für Violoncello, Sprechstimme und Sopran

Empathie ist eine Hommage an die Schriftstellerin Else Lasker Schüler. Das Stück selbst betreibt Archäologie: in seinem Verlauf wird versucht die tief menschlichen Qualitäten der Else L. Sch. wie Empfindsamkeit, persönliches und mundanes Mitgefühl, die Liebe zu ihrer Mutter, Wärme und Demut, aber auch Leidensfähigkeit, freizulegen.

Die der Sprechstimme zugeordneten Texte sind aus Briefen an den „Blauen Reiter“ Franz Marc entnommen. Diese Stimme erfüllt den Raum und entfaltet sich zu einem differenzierten Klanginstrument. Überlagernd dazu - erst nach geraumer Zeit - vereint sich die Gesangsstimme, mit den Klängen des Cellos und den Sprachklängen, das Gedicht War Sie der grosse Engel der neben mir ging intonierend.
Else Lasker Schülers Stimmen kommen aus einer andern Welt – nicht von hier – aus einer menschlichen Welt.

Vor und während den Stimmeinsätzen und nach ihrem Verstummen herrscht die andauernde Präsenz der Celloklänge im Spannungsfeld des irdischen Leidens, das heisst, einer luziden Empfindsamkeit gegenüber der Welt, und der Sehnsucht durch SIE von der Erde fortgetragen zu werden, in eine Sphäre der Leichtigkeit.

A.K.Z.
2002

Uraufgeführt: Offene Kirche, St.Gallen
Klavier Solo